Bericht SkyNews 01/24

Luftfracht in der Krise

Die grosse Stunde der Luftfracht kam im Frühling 2020 ganz schnell und unerwartet – mit der COVID-Pandemie. In vielen Ländern wurden im grossen Stil non-Food Einzelhandelsgeschäfte geschlossen. Kundenkreise, die bis dahin die persönliche Beratung im Fachgeschäft dem Internet-Handel vorgezogen hatten, waren plötzlich gezwungen, sich über den Online-Handel einzudecken. Zusätzlich mussten in grossen Mengen Pandemie-Artikel wie Gesichtsmasken, Medizintechnik und Impfstoffe zwischen den verschiedenen Ländern hin- und hergeschoben werden. Aus Mangel an Frachtflugzeugen griff man auf nicht benützte Passagiermaschinen zurück, aus denen die Sitze entfernt, Frachtnetze in den Kabinen montiert und deren Fracht nach dem guten alten Handload-Prinzip in den Kabinen verladen wurden – die Aviatik war um den Sprachbegriff «Prachter» reicher geworden. Denn die bestehenden Vollfrachtflugzeuge waren jederzeit ausgelastet, und mehr noch: normale Passagierflugzeuge operierten nur mit Belly-Fracht und ohne Passagiere! Das Frachtgeschäft boomte.

Auch der EuroAirport konnte, im Gegensatz zum zusammengebrochenen Passagierverkehr, auf stabile, steigende Zahlen im Frachtbereich blicken: Während im Rekordjahr 2019, also noch vor COVID, insgesamt 106.088 Tonnen umgeschlagen wurden, durchliefen im Jahr 2020 bereits 108.502 Tonnen und im 2021 119 300 Tonnen Fracht unseren Flughafen! Im 2022 betrug das Frachtaufkommen 114’319 Tonnen.

Ganz klar, die Flugzeugindustrie reagierte schnell, schon allein deshalb, weil seit dem Abflauen der Pandemie die Prachterkapazität durch den wieder aufkommenden Passagierverkehr nicht mehr zur Verfügung steht. Ausserdem erlebt insbesondere der «Single-Aisle»-Markt mit neuen, Treibstoff-effizienteren Passagierflugzeugen wie die Airbus A320NEO- und Boeing 737Max-Familien mit annähernd 1’000 bestellten Einheiten – genaue Zahlen sind nicht verlässlich – einen beispiellosen Boom. Diese Neubestellungen lösen ältere Typen wie die A320CEO- und Boeing737-800/900, die jedoch noch voll einsatzfähig sind, zunehmend im Passagierverkehr ab. Es liegt auf der Hand: solche Flugzeuge können zu Frachtern umgebaut werden. Lärm- oder Treibstoffverbrauchswerte spielen dabei offensichtlich eine untergeordnete Rolle, weil ja die Luftfracht-Kapazitätsnachfrage zum Zeitpunkt der Planung angestiegen war. Eine heute unüberblickbare Anzahl von spezialisierten Unternehmen baut nun diese ausrangierten Maschinen zu Vollfrachtern um. Sogar die kleineren Embraer E190 sind bereits für Umrüstungen im Gespräch, und für Kleinstfrachttransporte gibt es sogar Projektstudien für ferngesteuerte Dronen. Der Markt füllt sich nun mit umgebauten A320 und B737, die noch viele Jahre eingesetzt werden müssen, um die Umbaukosten zu amortisieren. Die Beratungsfirma Cirium schätzt, dass bis 2027 über 500 so genannte «P2F» (Passengers-to-Freighters) zum Einsatz kommen. Allein in diesem Jahr werden 60 B737-800P2F ausgeliefert sein! Daneben sind neue Fracht-Widebodies (A350F, B777-8F) in Planung, und für bestehende Modelle hält Boeing Verträge für 46 der angejahrten B767-300F und 69 der B777F (Quelle: Flight International). Eine massive Überkapazität ist also jetzt schon programmiert. Dazu kommt, dass der Passagierverkehr in den letzten Monaten bis nahe an die 2019-Frequenzen angestiegen ist und damit wieder üppig Belly-Fracht zur Verfügung steht.

Beim Frachtverkehr ist es also nicht anders wie an der Börse: Auf jeden unnatürlichen Boom folgt eine Rezession. Während die Frachtvolumen gegenüber 2019 weltweit um 40 % (!) anstiegen, sind hingegen die Erträge aus dem Vollfrachtgeschäft inzwischen mit der gleichen Prozentzahl gesunken, wie eine Studie der IATA festgestellt hat. Grosse Logistiker wie Kühne+Nagel, DHL und DSV, aber auch Carriers mit grossem Frachter-Anteil wie Korean und Turkish erleben derzeit einen Rückgang der Luftfracht-Erträge von rund 50%, wie die Beratungsfirma Xeneta angibt. Auch die FedEx hat bereits in grossem Stil Frachtmaschinen stillgelegt. Und das Unerfreuliche ist, dass sich diese Situation so schnell wohl nicht ändern wird, denn der internationale Handel ist aufgrund verschiedenster politischer Situationen starken Schwankungen unterworfen – Gift für Wirtschaft und Warenfluss. Die Frage ist natürlich, ob diese Entwicklung nur kurzfristig als Folge der konjunkturellen Ungewissheiten oder aber langfristig anhalten wird. Die erwähnten rund 500 ausgemusterten Flugzeuge sind gekauft und die P2F-Umbauten sind bestellt – Rücktritte von diesen Verträgen kommen beiden Partnern sehr teuer zu stehen.

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