Die Flugscham-Diskussion
Schlägt bei Ihnen die Flugscham durch? Getrauen Sie sich überhaupt noch, für Ihre Ferien oder Kurzreisen an einen Flug zu denken, ohne sofort in eine Gewissenskrise zu verfallen? Aber wie reisen Sie, um den Forderungen des Klima-Aktivismus’ vermeintlich Genüge zu tun? Beispiel: Amsterdam!
Preise
Der Chefredaktor der Basler Zeitung berichtete in einem Artikel am 19.4.23 über einen Versuch, einen Ausflug von Basel dorthin zu planen. Ganz im Sinne des heutigen Trends und demzufolge um sein Gewissen zu entlasten, plante er ihn per Bahn. Und da diese lange dauern würde, entschied er sich für einen Schlafwagen im Nachtzug. Die Vorfreude wich einem Erstaunen: CHF 425 pro Person!
Natürlich ginge es auch billiger, und zwar im normalen Reisezug, 2. Klasse. Für Kurzentschlossene kostet ein Billett rund 170 Franken – oneway. Wer langfristiger planen kann, kommt annähernd in die Region der Lowcost Airline Tickets. Aber es bleibt bei einer Reisedauer von rund 9 ½ Stunden.
Wieviel hingegen ein Ticket bei Lowcost-Airlines bzw. als Sonderangebot bei irgendeiner Gesellschaft kosten würde, wissen wir alle selbst. Sicher ist: vom Preis her spricht alles für die Flugreise, und ebenso von der Flugdauer.
Zwischenstand: 1:0 gegen die Bahnreise.
Buchung und Ticketing
Ein Ticket für einen Flug bucht man bequem über das Smartphone, und alle Informationen sind sofort klar. Die Sitzplätze sind garantiert und man ist je nach Airline bereits eingecheckt. Die Bordkarte ist auf dem Handy gespeichert und muss gar nicht mehr ausgedruckt werden. Und am Flughafen geht’s via Baggage-Self-Drop direkt zum Gate. Es ist bequem und geht schnell, wie natürlich der Flug selbst auch.
Für eine Bahnreise gibt es ein paar Agenturen, bei denen über Internet gebucht werden kann, oder man geht zum Bahnschalter. Hingegen muss der Sitzplatz separat reserviert werden – kostenpflichtig natürlich (was allerdings nicht heisst, dass er dann auch frei ist, z.B. weil die Umsetzung der Reservation nicht geklappt hat oder sich ein bereits dort sitzender Ignorant darum foutiert!). Und für all das erhält man ein Bündel «Karten»: Fahrkarten und Sitzplatzreservationen, und zwar pro Streckensegment, beides je Hin- und Rückfahrt. Für eine mehrköpfige Familie kommt also ein halbes Buch zustande!
Zwischenstand: 2:0 gegen die Bahnreise.
Reisedauer und Bequemlichkeit
Bei der Bahn ist der Abfahrtsort natürlich zentral, und es gibt keine lange vorherige Einfindungszeit. Sehr bequem ist die Reise dann jedoch in der 2. Klasse nicht, man hat wechselnde, auch nicht immer angenehme Sitznachbarn. Die Waggons sind öfters mangelhaft gereinigt. Dann das Umsteigen mit dem ganzen Gepäck-Kasumpel etc. Und natürlich die Reisedauer! Zudem: eine Fernreise mit der Deutschen Bahn ist kein Pünktlichkeitsversprechen.
Für den Flug muss man sich mittlerweile bis zu drei Stunden vor Abflug auf dem Flughafen einfinden. Dann kommt warten vor der Security, warten hier, warten dort, warten im Flugzeug zum Start, warten nach der Ankunft und eventuell auf das Gepäck. Plus: Transfers zum/vom Flughafen. Bei einem Kurzstreckenflug kann die reine Flugzeit also durchaus geringer sein als die Summe aller Wartezeiten.
Zwischenstand nach unentschieden: 3:1 gegen die Bahnreise.
Ökologie
Die SBB verwendet Strom aus eigenen Wasserkraftwerken. Aber z.B. die DB, die jetzt wieder stärker auf Kohlekraftwerke setzt? Und gibt es verlässliche Zahlen über den Klimaeffekt, den die gigantische Bahn-Infrastruktur verursacht?
Demzufolge: unentschieden, 4:2 gegen die Bahnreise.
Résummé
Die Eisenbahnen sind grösstenteils in staatlicher Hand. Und weil es in Europa viele Staaten gibt, gibt es auch eine Vielzahl historischer, technischer und regulatorischer Unterschiede zwischen den Bahnen, und das verhindert das effiziente internationale Zusammenarbeiten. Das wird so bleiben, solange sich die Länder aus nationalistischen Gründen nicht auf einheitliche, länderübergreifende Systeme einigen können. Deshalb bleiben Bahn-Fernreisen: kompliziert und teuer.
Die Fliegerei hingegen hat nach dem 2. Weltkrieg einheitliche Standards eingeführt (ICAO und IATA), welche international bindend sind. Unterschiede gibt es höchstens bei Einreise- und Zollbestimmungen – die Staaten, halt! Deswegen ist eine Flugreise von der Abwicklung her in jedem Fall einfacher und bequemer.
Also: 5:2 gegen die Bahnreise!
Wer also politisch korrekt reisen will, muss einiges auf sich nehmen. Ob er sich dabei auch klimatisch korrekter bewegt, bleibt jedoch weiterhin fraglich! Als ökologische Alternative zur Fliegerei hat die Bahn noch eine längere (Bahn-)Reise vor sich!
P.S. Bleibt als Alternative noch eine Car-Reise, z.B. mit Flixbus. Diese Reise nach Amsterdam kostet zwischen 60 und 100 Franken, ebenfalls oneway, aber die Fahrtdauer beträgt rund 11 ½ Stunden – oder eben mehr. Die die Stausituationen lassen grüssen.