Beitrag SkyNews 7/21

Robert Appel, SkyNews Juli 2021: Blick zurück – ATL98 CARVAIR

Das Schreiben von Kolumnen über den EuroAirport ist derzeit ziemlich schwierig. Nicht das Schreiben selbst, sondern zu wissen, worüber. Denn die Zeiten liefern ja wenig Abwechslungen, und wer möchte schon dauernd über COVID-19 und C02 lesen? Eben. Da flüchten wir uns lieber mal in die gute alte Zeit…

In den 60er Jahren, als der EuroAirport noch Flughafen Basel-Mulhouse hiess und den Flugbetrieb aus alten Holzbaracken betrieb, fanden sich allerhand seltsame Flugzeuge ein. Zu den Skurrilsten zählte die ATL98 Carvair, auch «Wasserkopf-DC4» genannt. Es handelte sich dabei um eine Umbauversion: Rumpf, Flügel, Motoren und Fahrwerk einer DC4, Seitenstabilo einer DC7 und die Nose Section als Eigenbau von Freddie Laker’s Aviation Traders Limited (ATL). Damit revolutionierten sie den Luftverkehr zwischen England und dem Kontinent – oder sie versuchten es zumindest: Um mit dem Auto nicht per Schiff über den Ärmelkanal schaukeln zu müssen, konnte man von verschiedenen britischen Flughäfen wie Lydd Ferryfield, Lympne oder Southend mit seinem Auto nach Europa fliegen: Le Touquet, Calais, Ostende, Beauvais und eben Basel. 1962 flog die englische Channel Air Bridge damit, aus dieser Airline wurde 1963 nach dem Zusammenschluss mit der Silver City die British United Air Ferries (BUAF) und ab 1967 beehrte die British Air Ferries (BAF) Basel mit ihren Anwesenheiten.

Die Maschine verfügte über ein grosses vorderes Klapptor (welches mit einer kleinen Hydraulik-Handpumpe betrieben wurde und einer strengen Seitenwind-Beschränkung unterworfen war…), durch welches die Autos über eine spezielle Hebebühne einfahren konnten. 3 oder 4 Autos plus etwas Handload-Cargo fanden im geräumigen Rumpf Platz. Die maximal 15 Passagiere machten es sich in einer plüschig-luxuriösen und sehr lärmarmen Lounge im hintersten Teil der Kabine bequem. Leider hatte ich es verpasst, irgendwann mit einer Carvair einen Flug zu absolvieren!

Das Cockpit erreichte man vom Frachtraum her über eine schmale Metallleiter, sofern oben die Falltüre offen war. Dort oben grüsste freundlich eine meist ältere Crew, im Propellerwind würdig ergraute Veteranen, die oftmals den Sprung ins Jet-Zeitalter irgendwie nicht geschafft hatten.

Als damaliger Statiönler der Balair durfte ich in den frühen 70er-Jahren zahllose Beladungen für die BAF-ATL98 berechnen, und das konnte recht tricky sein: Drei Autos und zusätzliche Fracht, alles im Frachtraum in der Kabinenmitte plus Nose Section, konnten die Maschine nämlich akzentuiert kopflastig machen. Solange man aber genügend Passagiere hatte, die als Heck-Trimmgewichte mit einem starken Hebeleffekt das Flugzeug wieder in einen flugfähigen Schwerpunktbereich korrigierten, war alles ok. Aber mit wenigen oder gar keinen Passagieren: Houston, we have a problem. Das hinterste, winzige Belly-Compartment gab trimmmässig nicht viel her, und oftmals musste deswegen Fracht zurückgelassen werden. Wenn das Load- und Trimsheet aber mal erstellt und von der Crew unterschrieben war, stellte sich bei mir immer das Feierabendgefühl ein.

Von den zu transportierenden Autos profitierten übrigens auch Flughafen-Angestellte. Das Handling Manual schrieb nämlich vor, dass die Benzintanks der Autos bis höchstens bis zur Hälfte befüllt waren. Davon ausgehend, dass der Tank sowieso randvoll war, saugte man deshalb mit einer Pumpe jeweils einen Kanister Benzin heraus… Das gab den kärglichen Löhnen der Staff einen kleinen Boost.

Nur gerade 17 Maschinen dieses seltsamen Flugzeugtyps wurden (um)gebaut, und schon bei deren Inbetriebnahme waren sie alt – und pannenanfällig! Viele dieser Flüge starteten wegen technischen Problemen verspätet, und erst wenn die Motoren polternd und mit einer wilden Rauchfahne gestartet waren, konnte man aufatmen. Aber es waren nicht immer nur technische Probleme: Einer Crew wolle es einfach nicht gelingen, Triebwerk Nr. 3 zu starten Der Flight Engineer öffnete die Cowling und schaute kurz über den Motor, und der Captain entschied: Nightstop (vielleicht war auch nur der Starter überhitzt). Am nächsten Morgen, ohne dass jemand am Motor herumgeschraubt hätte, startete die Crew problemlos alle Motoren und winkte freundlich von hoch oben aus dem Cockpit heraus – selbstheilende Technik? Offenbar wollte sich die Crew bei all den ewigen Kurzstrecken auch wieder mal einen Nightstop on the Continent gönnen.

Übrigens war die Carvair nicht der erste Autotransporter. Diese Ehre fiel der Bristol BR170 zu, einem 2-motorigen Hochdecker mit starrem Heckfahrwerk, in den 60er Jahren ebenfalls oft gesehener Gast in Basel. Irgendwann in den späten 70er Jahren war dann auch Schluss mit der Carvair, und so verschwanden diese seltsamen Maschinen ebenfalls von der Bildfläche. Die Typenvielfalt auf dem Flughafen war um ein drolliges Exemplar ärmer geworden!

P.S. im neuen Jubiläumsbuch «75 Jahre EuroAirport» wimmelt es nur so von derartigen Merkwürdigkeiten!

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